Februar 2004

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Josh Roseman: Treats For The Nightwalker
(Enja)

Auf seiner ersten CD bürstete der New Yorker Posaunist Josh Roseman Rockstücke von Nirvana oder Björk gegen den Strich. Auf seiner zweiten CD widmet er sich dem aufwendig orchestrierten Fusion-Jazz. Weil Roseman noch jung, also kein Jazzrock-Zeitgenosse ist, vermeidet er die Fallen des überzüchteten Fusion-Hochleistungssports. Der Backbeat ist funky und straight, die Arrangements hingegen voller abrupter Stimmungswechsel und überraschender melodischer Verschiebungen. Ein wenig erinnert dies an Billy Cobhams’s beste Werke – aber mit einem weitaus moderneren Anstrich.

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Al Green: I Can’t Stop
(Blue Note/EMI)

Ein Aufschrei geht durch die Jazzgemeinde: Dürfen die das! Ein renommiertes Jazz-Label wie Blue Note als Aufbauhelfer für abgehalfterte Pop- und Soul-Stars? Van Morrison und nun auch Soul-Altmeister Al Green sind jetzt Blue Note recording artists. Unvorstellbar noch vor fünf Jahren. Aber: selbst ein Branchenblatt wie Down Beat vergibt für die Green-CD die Höchstwertung. Ein wenig zu Recht. Greens Stimme hat nichts von ihrer Faszination eingebüßt und die liebevoll anachronistische Produktion von Willie Mitchell weckt Erinnerungen an große Hi Records-Zeiten. Alles in allem old fashioned, aber Lichtjahre besser als 90% dessen , was sich heute Soul nennt.

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Dave Holland Quintet: Extended Play: Live At Birdland
(ECM/Universal)

Lang erwartet und in jeder Hinsicht hörenswert: die erste Live-Doppel-CD des Dave Holland Quintetts. Kaum eine andere „working band“ spielt so lange zusammen wie diese Fünf. Entspreched atemberaubend ist das Zusammenspiel der Musiker. Eine fein ausgewogene Balance aus Offenheit und Klarheit, melodischer Eindringlichkeit und abstrakter Improvisation. Einmalig: das Spiel mit ryhthmische Paramteren von Swing, Funk bis Free-Jazz. Mehr als nur ein Dokument der Live-Stärken dieses aussergewöhnlichen Quintetts.

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Galactic: Ruckus
(Sanctuary/Zomba)

Insider, die sich auf US-Sides wie dustygroove über hier nicht erhältliche Groove-Sensationen erkundigen, wird der Name Galactic bereist bekannt sein. In den USA gelten Galactic mit ihrem Future Funk als eine der kommenden Bands der Jam-Szene um Medeski Martin & Wood. „Ruckus“ ist die erste auch offiziell in Deutschland erschienene CD des Sextetts aus New Orleans. Knochentrockene Funk-Beats treffen auf hyperventilierende Orgel-Licks, pumpende Bass-Läufe auf hitzige Jazz-Bläser – eine moderne Mixtur aus Soul, Funk, Blues und Jazz mit der gewissen HipHop-Soundästetik. Immerhin war mit Dan The Automator (Beastie Boys, Depeche Mode, Gorillaz) ein Produzent am Werke, bei dem Beats ihr Fett bekommen und vieles Led Zepplin auf Funk näher steht als dem New Orleans-Sound.

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Robben Ford: Keep On Running
(Concord/in-akustik)

Er wird die Welt nicht mehr aus den Angel heben, aber für Anhänger der geschmackvoll gespielten Blues-Gitarre ist und bleibt er einer der besten Freunde. Auch auf seiner neuen CD jongliert Ford wieder elegant mit den blauen Noten, befreit sie aus dem strengen Blues-Korsett, verbandelt sie mit Soul und Funk. Dazu hat Ford Gaststars wie Edgar Winter eingeladen, die dem souveränen Westcoast-Sound neue Facetten verleihen. Ein reifes Werk, auch geeignet für notorische Blues-Hasser.

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Puschnig/Swallow/Alias/Lewis: Grey
(Quinton/Choice Music)

Es sind die kleinen Labels, die Impulse setzen. Ihren Künstlern den Freiraum lassen, um ihr künstlerisches Potential abzurufen. Aber sie sind selten geworden: Labels wie Quinton etwa. Das Wiener Label mit dem schönen Motto ”The Art Of Recording Arts“ veröffentlicht seit einigen Jahren hochwertig aufgemachte CDs mit erstklassiger, vorzüglich aufgenommener Neo-Bop-Musik an der Schnittstelle zwischen Europa und den USA.
Auf der neuen CD „Grey“ des Ex-Vienna Art Orchestra-Saxofonisten Wolfgang Puschnig begleitet eine US-Allstarband den transparent improvisiernden Puschnig durch ein mit hintergründiger Spannung inszeniertes Standard-Programm, das alles andere als „Grey“ ist. Auch auf Quinton erschienen: der von Console und dem Tied & Tickled Trio bekannte Saxofonist Johannes Enders mit seiner Band Kyoto. „Plays Mau Pin“, so der CD-Titel, bedeutet nicht dass hier Kompositionen des Saxofonisten Bennie Maupin gespielt werden, sondern recht straight swingender Modern Jazz mit japanischem Unterton. Enders, Vibrafonist Joe Locke, Bassist Ed Howard und Schlagzeuger Christian Salfellner fühlen sich hörbar wohl in diesem Rahmen und überzeugen mit charmantem Understatement .
Die CDs des Quinton Lables erscheinen übrigens auf dem neuen Vertrieb Choice Musik, der viele Perlen in seinem Programm führt. Auf dem von Choice ebenfalls vertriebenen Label PAO sind etwa die letzten CDs des Tenor-Magiers Archie Shepp erschienen. Empfehlenswert: „Tomorrow Will Be Another Day“ mit Amina Claudine Myers an Orgel und Gesang und tollen Versionen seiner Klassiker „Mama Rose“ und „Kwanza“.

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McCoy Tyner u.a.: Land Of Giants
(Telarc/in-akustik)

Eigenlob stinkt. In diesem Falle aber sind durchaus angebracht. Mit den zwei Altstars McCoy Tyner und Bobby Hutcherson und den Jungstars Charnett Moffett und Eric Harland befinden wir uns tatsächlich im „Land Of Giants“. Dennoch: uninspirierte Allstar-Sessions gibt es mehr als deren Gegenteil. Aber zum Glück funktioniert das Elefantentreffen. Hutcherson vibriert wie lange nicht mehr, Tyner schüttelt Blockakkorde im Akkord aus dem Ärmel und die Rhythmussektion ist tight und begleitet pointiert die Improvisationen der beiden Blue-Note-Veteranen.


Marty Ehrlich: Line In Love
(Palmetto/EFA)

Ein Tipp für alle Bassklarinettenliebhaber aus der Modern Jazz-Fraktion, die den Glauben an das Instrument nach Eric Dolphy noch nicht aufgegeben haben. Hört Marty Ehrlich! Es geht: einen eigenen Sound auf dem Tieftöner zu finden, ohne gleich die Klappen zum Quieken zu bringen. Andererseits spielt Ehrlich auf seiner neuen CD immer noch überwiegend Altsaxofon – aber auch das mit enormer Klarheit, cool, dennoch abstrakt und ohne effektheischenden FreeJazz-Phrasen. Auch das Zusammenspiel von Craig Taborn (Piano), Michael Formanek (Bass) und Billy Drummond (Schlagzeug) ist zurückhaltend und fast schon traditionell – aber immer noch voller unerwarteter Wendungen, die die Handschrift der Avantgarde erahnen lässt.

Rezensionen von Tiga Schwope