Herbie Hancock

Man nennt ihn das Chameleon. Weil er so oft seine Musikfarbe wechselt. Der Pianist Herbie Hancock hat von Hard-Bop über Jazz-Funk bis Electro vieles ausprobiert und zählt wohl auch deshalb zu den kreativsten Köpfen des modernen Jazz.

Das Chameleon – seinen Spitznamen hat sich der Pianist Herbie Hancock selbst eingebrockt. Zumindestens nannte er das Stück, dass ihn in den Rang eines Popstars katapultierte, eben so: Chameleon. Mit seiner Band, den Headhunters, gelang ihm mit diesem Jazz-Funk-Fusion-Klassiker 1973 der kommerzielle Durchbruch. Dabei hatte er schon in den Karrierejahren zuvor als Komponist etliche Hits: den Soul-Jazz-Smash „Watermelon Man“ etwa oder das wohl allen geläufige „Canteloup Island“.

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Was aber macht Hancock zum Chameleon? Wie nur wenige Jazzmusiker suchte der am 12.April 1940 in Chicago geborene Hancock seit seinem Einstieg als Hauspianist des Blue-Note-Labels in den Hard-Bop der frühen sechziger Jahre immer neue Herausforderungen und wechselte dabei ständig und für Jazzpuristen nicht immer verständlich die Musikfarbe. Im Miles Davis epochalem Quintett (1962-68) erforschte er die Grenzen des modalen Jazz, experimentierte Anfang der 70er mit Elektronik- und Fusion-Sounds, brachte mit besagtem „Chameleon“ dem Jazz das Grooven bei, wurde zum glitzernden Disco-Star, hatte schließlich Anfang der 80er mit der Electro-Hymne „Rockit“ seinen größten Erfolg, um sich in den letzten zehn Jahren vermehrt dem akustischen Jazz zu widmen. Doch auch im Alter lässt er sich nicht von seinem Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel abbringen: Zwischen seinem New Standard-Projekt und einer Gershwin-Hommage hat er natürlich auch Zeit seine alte Headhunters-Band zu reaktivieren.

Wie offen der praktizierende Buddhist Herbie Hancock allen Musikrichtungen gegenüber ist, bewies er in einem Blindtest, wo es unterschiedliche Musikstücke zu erraten galt. Man mag es kaum glauben: Ei, auf einem Mojo-Sampler wieder entdecktes Samba-Stück von James Last war ihm bekannt, während er sich selbst als junger Sideman bei einer Hank-Mobley-Blue-Note-Einspielung nicht orten konnte. Das mit James Last ist allerdings so verwunderlich nicht: Hancocks Ehefrau stammt aus Hannover, und so hatte er ausreichend Gelegenheit sich über die hohe Schule deutscher Fernsehunterhaltung zu informieren.

Dennoch trat Hancock am Anfang seiner Karriere alles andere als ein sprunghafter Innovator auf. Als klassischer Hard-Bop-Pianist in den Bands von Donald Byrd und Hank Mobley wies nur wenig darauf hin, dass aus ihm mal ein eigenständiger, harmonisch komplex wie eingängig improvisierender Tastenkünstlern werden sollte. Im Mai 1963 aber wird Miles Davis auf den gerade mal 23-Jährigen aufmerksam und verpflichtet ihn für sein neu besetztes Quintett, dass in den fünf Jahren seines Bestehens Musik mit atemberaubender Intensität und überraschender Wendungen auf allerhöchstem Niveau einspielt. Nebenbei aber findet Hancock immer noch Zeit, als Leader Plattenaufnahmen für das Blue-Note-Label einzuspielen. Es entstehen Meisterwerke des modernen Jazz wie „Takin Off“, „Maiden Voyage“ oder „Empyrean Isles“, wo er sich auch als Komponist ausgereifter Melodiefolgen auszeichnet.

Als Miles Davis sich entschließt, seinen Sound zu elektrifizieren und immer mehr mit Funk-Rhythmen und modalen Texturen experimentiert, schließt sich ihm Hancock an. Nur nicht in seiner Band, sondern mit seinem eigenen Sextett. Als Student der Elektrotechnik ist Hancock am Sound neuer Analog-Synthesizer interessiert und mischt diese als Klangfarbe seinem Electric-Jazz bei – mit geringem kommerziellen Erfolg allerdings. Verbittert löst Hancock das Sextett auf und spielt mit den Headhunters das gleichnamige Album mit dem Hit „Chameleon“ ein – eines der bis heute best verkauftesten Alben der Jazzgeschichte.

Ende der 70er entdeckt Hancock im Windschatten von Bands wie Earth, Wind & Fire oder Kool & The Gang den Disco-Sound, hat damit durchaus Erfolg, tourt aber nebenbei auch mit dem akustischen Jazz-Quintett V.S.O.P und im Duo mit Chick Corea. Und macht es so Jazzpuristen schwer, ihn in Schubladen zustecken. Sein 1982 eingespielte Breakdance-Electro-Hit „Rockit“ trägt zudem zur Verunsicherung bei. Doch allmählich verabschiedet sich Hancock aus der Hitfabrik. Für den (akustisch instrumentierten) Soundtrack zum Film „Round Midnight“ erhält er 1987 den Oscar. Sein Faible für den akustischen Jazz schlägt immer mehr durch. Auf dem 1996 erschienen Album „The New Standard“ interpretiert er bekannte Popstücke im harmonisch offenen Jazz-Kontext und versucht sich für das Gershwin-Tribut „Gershwins World“ an kammermusikalischen Arrangements. Zwischendurch reaktivierte er seine alte Jazz-Funk-Basis Headhunters und, so war zu vernehmen, sein nächsts Album soll wieder Groove-orientierter und elektrischer klingen. Wie es sich für ein Chameleon gehört.

Bio

Herbie Hancock wird am 12.April 1940 in Chicago geboren. Mit sieben beginnt er Piano-Stunden zu nehmen. Bereits mit elf spielt das Wunderkind mit dem Chicago Symphony Orchestra Mozarts Klavierkonzert in D-Dur nach. Er besucht das Grindell College und schließt erst in Elektrotechnik und dann in Komposition ab. Im Januar 1961 geht er mit dem Trompeter Donald Byrd nach New York und macht sich schnell einen Namen. Als Hauspianist auf dem Blue-Note-Label spielt er als Sideman, aber auch als Bandleader Dutzende die HardBop-Ära bestimmenden Alben ein. Kompositionen wie „Watermelon Man“ werden immer wieder von Jazzmusikern aufgegriffen, bis heute über 200mal auf Tonträgern. Von 1963 bis 1968 spielt Hancock in Miles Davis bahnbrechendem Quintett, um schließlich die Herausforderung des Electric Jazz mit seiner eigenen Band zu suchen. Mit dem Jazz-Funk-Klassiker „Chameleon“ gelingt ihm der große kommerzielle Durchbruch. Bis heute ist Hancocks Musik davon geprägt, zwischen der Tradition des Jazz und der modernen Sprache der Popmusik eigene Wege zu finden.

CD-Tipps

The New Standard
Gershwins World
The Complete Blue Note Sixties Sessions
Fat Albert Rotunda
Crossings
Headhunters
Future Shock
Miles Davis: Complete Live At Plugged Nickel

Tiga Schwope