September 2002

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Rubin Steiner: Wunderbar Drei
(BMG)

Elvis ist dabei, Bob Dylan auch. Aber auch das ein oder andere BeBop-Zitat. Bei Herrn Steiner geht es recht patchworkig postmodern zu. Will heißen, der Sampler wird mit Zitaten gefüttert, die Beats schön krumm programmiert und echte Musiker dürfen auch ein paar Töne zwischen dieses Samplesurium platzieren. „Wunderbar Drei“ klingt dem ersten Höreindruck nach recht verwirrend, sehr eigen – und deswegen auch sehr spannend. Eine nette Spielerei. Aber auch ein gelungener Versuch Sample-Jazz aus dem engen Korsett des NuJazz zu befreien.

Absolute (Ensemble): Fix
(Enja/Soulfood)

James Brown steht neben Igor Strawinsky, Ray Noble neben Compay Segundo. Weil diese Herrschaften aus nahe liegenden Gründen sich wohl kaum zu einer Jam Session treffen würden, hat das Projekt des finnischen Dirigenten Kristjan Järvi das Unbegreifliche getan: „Fix“, live aufgenommen, ist Eklektizismus pur. Lounge-Sounds, avantgardistische Exzesse, pure Grooves, asymetrische Rhythmusmuster, verrückte Samples: all dies kommt hier zusammen, ohne in Flickschusterei zu verfallen. Wer Abenteuer in der Musik sucht, wird mit dieser CD bestens bedient.

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Shemekai Copeland: Talking To Strangers
(Alligator/Edel Contraire)

„Produced by Dr.John“: dieser kleine Nachsatz auf der CD-Rückseite verspricht viel: würziges New-Orleans-Flair, musikalische Vollwertkost an der Schnittstelle zwischen Blues und Funk. Und richtig: diese CD enttäuscht nicht. Der Voodoo-Priester des New-Orleans-Soul liefert vitaminreiche Grooves und stimmige Songs in bester Crescent City–Tradition gleich im Dutzend. Shemekia Copeland füllt diese mit Leben und breitet mit Inbrunst ihre Gospel&Blues-getränkten Vokalkunst vor. Stark.

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Andy Bey: Tuesdays In Chinatown
(Minor Music/in-akustik)

Andy Bey ist einer der unterbewertesten Sänger des Jazz. Als die Acid-Jazz-Szene sich vor allem seinen Funk-beeinflussten Aufnahmen für Horace Silver und Gary Bartz sowie seines unterbewerteten Meisterwerks „Experience And Judgment“ erinnerte, fristete der an Aids erkrankte Bey ein Leben in der Obskurität. Aber dann veröffentlichte Bey zwei Balladen-Alben für ein amerikanisches Indie-Label, die Aufsehen erregten. Sein geheimnisvoller, spiritueller Gesangstil kamen hier bei karger Instrumentierung bestens zur Geltung. Mit „Tuesdays In Chinatown“, seiner neueen CD, ist ihm nun ein Meisterstück gelungen. Jazz-Standards, aber auch Stücke von Milton Nascimento, dem Folk-Helden Nick Drake („River Man“) oder Stings „Fragile“ interpretiert er mit warmen, hingebungsvollem Understatement. Die Begleitung durch gestandene Blue Note-Kräfte wie Ron Carter, Geri Allen oder Steve Turre ist exquisit, und so entfaltet „Tueysdays In Chinatown“ eine soulige, in den Bann ziehende Atmosphäre.

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The Blind Boys Of Alabama: Higher Ground
(Virgin)

60 Jahre gibt es nun schon das Gospel-Sextett Blind Boys Of Alabama. Eine verdammt lange Zeit. Doch die blinden Jungs aus Alabama sind nicht nur Gralshüter der Gospel-Tradition: sie sind auch auf erfrischende Weise zeitlos. Auf ihrer neuen CD gelingt es ihnen, die Spiritualität ihrer Vokalkunst im zeitgenössischem Song-Ambiente zu präsentieren. Darauf haben sie sich Soul- und Funk-Klassikern von Stevie Wonder (Higher Ground“), Curtis Mayfield (People Get Ready“), Funkadelic („Me And My Folks“) und sogar von Prince („The Cross“) angenommen: mit einem Musik-Backing, das tief in der Country-Blues-Tradition des Südens verwurzelt ist und mit Stimmen, für die das Attribut „göttlich“ nicht zu weit her geholt ist.

Diverse: Atlantic-Reissues
(Warner)

Der erste Schwung Reissues aus dem unerschöpflichen Beständen des wohl wichtigsten Labels für afro-amerikanische Musik der 60er-Jahre, Atlantic, erschien letztes Jahr. Nun legt Warner 36 längst vergriffene Orginal-Scheiben in DeLuxe-Edition neu auf. Viele davon sind gesuchte „Collector’s“, deren Vinyl-Version in Rare Groove-Kreisen stolze Preise erzielen.

Das Atlantic-Label war dafür bekannt, ein großes Spektrum abzudecken; von Bossa, Freejazz, Soul bis Latin-Jazz. So gibt es ein Wiedersehen mit den Kult-Scheiben des Vibrafonisten Roy Ayers vor seiner Jazz-Funk-Periode: „Stoned Soul Picnic“, „Virgo Vibes“ und „Daddy Bug“, allesamt aus den späten 60er-Jahren, sind eher der modalen Modern Jazz-Phase zugetan, die souligen Vibes des Sonnenkönigs des Groove-Jazz aber deuten sich schon an.

Ebenfalls unverzichtbar: die Soul-Jazz-Meisterwerke von Freddie Hubbard („Backlash“, „A Soul Experiment“), Jack McDuff („Tobacco Road“) und Wayne Henderson („People Get Ready“), essentielle Latin-Jazz-Alben von Mongo Santamaria („Mongo 70“), Charlie Palmeri („Latin Bugalu“) und Antonio Carlos Jobim („A Certain Mr.Jobim“).

Aber auch Modern Jazz-Klassiker von Ornette Coleman („Change Of The Century“, „Free Jazz“), Charles Mingus („Blues & Roots“) oder Max Roach („Member’s Don’t Get Weary“ – mit Andy Bey). Klassiker, die nun in digitaler Überarbeitung, neuen Linernotes und stilvollen Booklet vorliegen. Eine kleine Schatzkammer, dieses Atlantic-Archiv, dessen Juwelen nun stückweise der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Rezensionen von Tiga Schwope