Mai 2002

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Jimmy Scott: But Beautiful
(Milestone /ZYX)

Was wäre wenn? Was wäre, wenn Jimmy Scott nicht bei der Beerdigung des Songwriters Doc Pomus ein ergreifendes Lied angestimmt hätte, das erst Lou Red, dann auch Madonna zu Herzen rührte? Er würde wohl noch immer in leeren Hotelhallen Balladen für einsame Herzen singen. Doch die CDs des in Vergessenheit geratenen Sängers für Madonnas Maverick-Label schürten noch mal das Interesse an diesem außergewöhnlichen Balladeur, dessen Stimme zumeist mit der einer Frau verwechselt wird. Mittlerweile ist Jimmy Scott, der einst für Lionel Hampton sang, beim Milestone Label untergekommen. Und singt, was er am besten kann: all time american standards à la „You Don’t Know What Love Is”; ergreifend, schön, einzigartig.

Tomasz Stanko Quartet: Soul Of Things
(ECM/Universal)

Stanko zählt zu den unterbewertesten wie eigenständigsten europäischen Jazztrompetern. Sein Ton, sein Gespür melancholische Nuancen mit lyrische Eingebungskraft zu bündeln, ist im Alter (Stanko ist 60) noch ausdruckstärker geworden. „Soul Of Things“, seine neue CD für ECM, eingespielt mit jungen Mitmusikern, ist ein Musterbeispiel für akustischen Jazz mit feinsinnigen Ausformungen.

: rarum: diverse Re-Issues
(ECM/Universal)

Das Münchener ECM-Label ist für zwei Sachen bekannt: für seine Pionierdienste in Sachen europäischen Jazz und für das neo-realistische Cover-Artwork. Aber ECM war auch immer mehr: Heimstätte für afro-amerikanische Avantgarde, klassische Kreuzungen mit Jazz, Ambient, Elektronik, Standard-Einspielungen…:rarum, eine neue Reissue-Serie gibt nun einen Einblick in das Repertoire der bekanntesten ECM-Artisten: Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chick Corea, Gary Burton, Bill Frisell, Art Ensemble Of Chicago, Terje Rypdal, Bobo Stenson. Die erste CD-Serie überzeugt durch brilliante, ECM-typische Klangrestaurationen im 24-Bit-Verfahren, reduzierte, aber geschmackvolle Aufmachung und hervorragende Liner Notes: die haben die betreffenden Musiker selbst verfasst. So wie sie auch für die Stückeauswahl verantwortlich waren. Ein Stück Musikgeschichte, nicht nur für Quereinsteiger empfehlenswert

Robben Ford: Blue Moon
(Concord/Edel Contraire)

Der erklärte Liebling aller Gitarrenworkshop-Teilnehmer hat mal wieder eine neue CD am Start. Für die Fans des Saitenzauberers natürlich ein Muss. Dabei war es für diese gar nicht so entscheidend, welcher musikalischen Fährte er gerade folgte: sein satter, aber eleganter Ton, seine geschwungenen Phrasierungen waren für Gitarren-Fans stets eine Offenbarung. Diesmal hat sich Ford mal wieder dem Blues zugewandt. Und ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Seine Blues-Varianten sind sehr ursprünglich geraten, mit sehr viel Soul und Feeling, auch wenn er gerne dem Blues ein paar Jazz-Akkorde beimischt. Ein Muss für jeden Ford-Fan.

Steve Coleman: Restistance Is Futile
(Label Bleu/Sunny Moon)

Seinem langjährigem Label, dem Major RCA hat der Ex-M-Base-Häuptling den Rücken gekehrt, und ist beim Indie-Label Bleu gelandet. Und man höre und staune: er klingt klarer und prägnanter als auf den mystisch angehauchten Vorgänger-Alben. Sogar Jazz-Standards zählen zum Repertoire dieses Live-Mischnitts. Dennoch eine typische Coleman-Platte: mit verzwickten Metren, kantigen Melodiesprüngen und komplizierter Harmonik. Seinen Hörern macht es Coleman damit nicht einfacher, eigenständig und experimentierfreudig ist er geblieben.

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Juba Collective: Juba Collective
(Premonition/inakustik)

Hinter Juba steckt ein Projekt des AACM-Veteranen Kahil El-Zabar. Die große Losung des Chicagoer Avantgarde-Kollektivs ist hier Programm: Great Black Music. Am ehesten lässt sich die Musik auf dieser außergewöhnlichen CD als eine Mischung aus Deep House, rituellen afrikanischen Rhythmen und freien Jazz-Ausbrüchen beschreiben. Etwas, was so nur selten zu hören ist: Stücke, die sich nicht selten über 10 Minuten über einen pumpenden House- oder HipHop-Groove entfalten. Hypnotisch, elektronisch und elektrisierend. Mit Rappern, Poetry-Einlagen und funkelnden musikalischen Höhepunkten von beteiligten Musikern wie dem Saxofonisten Ari Brown und Ex-Miles-Davis-Keyboarder Robert Irving III. Grandios – und aufregender als das meiste, was uns heute als schaler NuJazz-Aufguß verkauft wird.

Frederic Galliano: presents The African Divas
(F Communications/PIAS)

Stichwort: French-House. Während die House-Welle aus dem Land des amtierenden Weltmeisters allmählich abebbt, bastelt DJ Galliano weiter an seiner ganz eigenen Definition einer übergreifenden Form elektronischer Musik mit Jazz-Untertönen. Er war der erste, der mit Livemusikern kollaborierte; und so einen ganz eigen Sound abseits gängiger Dance-Formeln schuf. Auf seiner neuen CD mischt er afrikanische Gesänge und Rhythmen mit aufregenden Groove-Texturen aus House, Techno, Dub und Breakbeat. Auf zwei CDs bricht der Spannungsbogen zwar schon mal ab, doch in seinen besten Momenten ist diese CD der gelungenste Versuch der letzten Jahre afrikanische Musik mit moderner Elektronik zu verbinden. Zu gut, zu eigenständig, um irgendwann mal trendkompatibel auf einem Afrotronic-Sampler zu landen.

Yellowjackets: Mint Jam
(Heads Up/inakustik)

Na bitte! Sie können doch, wenn sie nur wollen. Das alte Jazzrock-Flagschiff segelt diesmal nicht mehr durch die Untiefen des Smooth-Jazz-Archipels: die Gelbjacken wagen sich in die stürmischen Gefilde des Jazz. Als sichere Navigatoren umschiffen die Vier um Keyboarder Russell Ferrante sicher die Klippen des Fusion-Jazz. Was sie an ihren Instrumenten können, zeigen sie auf diesem Live-Mitschnitt eindrucksvoll, ohne dabei sinnentleertes Gegniedel abzuliefern; Fusion-Jazz mit exquisiten Soli und vibrierenden Rhythmen.

Rezensionen von Tiga Schwope