John Coltrane: A Love Supreme

Die Komposition “A Love Supreme” gilt für viele Jazzkritiker als wichtigstes Werk John Coltranes. Ein Klassiker, an dem sich allerdings nur wenige Jazzmusiker herantrauen – dafür aber immer mehr Popstars wie Robbie Williams, die aus der Liebeshymne Nummer-1-Hits zimmern.

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Die Frage sei erlaubt: was ist eigentlich ein Jazzstandard? Der allgemeinen Meinung nach eine einprägsame Melodie, die immer wieder gerne nachgespielt wird. Manchmal sind es aber auch nur die der Komposition zugrunde liegenden Harmonien, die Solisten als Improvisationsgrundlage reizen. So etwa bei dem Musical-Hit „My Favourite Things“, den vor allem der Saxophonisten John Coltrane bis zu seinem Tod 1967 immer wieder neu varierte.

Dabei hat Coltrane selbst etliche Jazz-Standards geschrieben: Die seiner ersten Frau gewidmete Ballade „Naima“ etwa oder das immer wieder gern zitierte Thema von „Giant Steps“ – und natürlich „A Love Supreme“, seine Ode an die universelle Liebe. Ein Jazzstandard, sicherlich. Aber einer, der nur selten aufgegriffen wird. Aus Ehrfurcht vor Coltranes übermächtigen Schatten oder weil das gebetsmühlenartige Kernmotiv von „A Love Supreme“ wenig hergab und der ureigene Reiz von Coltranes Version eher in der Intensität seiner modalen Soli lag?

Tatsache jedenfalls ist: Es waren paradoxerweise eher Popmusiker, die „A Love Supreme“ für sich entdeckten. Angefangen von dem Gitarristen Carlos Santana, der Coltrane stets als seinen Haupteinfluss angab, bis zu dem Soul-Sänger Will Downing, dessen 1988er House-Version der Coltrane-Hymne Jazzpuristen laut „Frevel“ aufschreien ließ. Noch dreister aber trieb es Britpop-Star Robbie Williams: Auf seinem Nummer-1-Hit „Supreme“ koppelte das Teenie-Idol die Melodie von „A Love Supreme“ mit Gloria Gaynors Disco-Hit „We Will Survive“. Eine bodenlose Unverschämtheit, die aber zeigt, welche Wirkung „A Love Supreme“ auch auf Pop-Ebene hat.

Wenn sich Jazzmusiker an dem Klassiker versuchten, dann waren es in der Regel Musiker aus der Avantgarde-Ecke: Leo Smith, David Murray, Andrew Cyrille oder Frank Lacy. Sicherlich keine Überraschung: Schließlich galt „A Love Supreme“ auch als Vorbote von Coltranes Interesse am FreeJazz, das 1965 in dem Werk „Ascension“ ihren nachhaltigsten Ausdruck fand. Im Mainstream-Jazz allerdings besitzt „A Love Supreme“ als Jazz-Standard quasi keine Bedeutung. Undenkbar etwa, dass Wynton Marsalis die Coltrane-Hymne interpretieren könnte.

Als „A Love Suprme als vierteilige Suite 1964 auf dem Impulse-Label erschien, war dies Coltranes erstes offenkundiges Bekenntnis zu seiner tiefgehenden Religiosität. Wie die Titel der einzelnen Teile belegen: „Acknowledgment“ (Anerkennung), „Resolution“ (Entschlossenheit), „Pursuance“ (Streben) und „Psalm“. Für die meisten Kritiker war klar: Coltranes wichtigstes auf Platte dokumentiertes Werk.

Gleichzeitig markierte Coltranes Suche auf „A Love Supreme“ nach modalen Improvisationsrezepturen und die immer intensiver werdende Kommunikation mit seinem Quartett den Aufbruch in eine neue Freiheit des musikalischen Ausdrucks. So war „A Love Supreme“ in vielerlei Hinsicht wichtig: Als spirituelles Manifest eines tiefreligiösen Musikers, als musikalisches Bekenntnis eines nach neuen Ufern strebenden Visionärs und als epochale Hymne, die noch heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat.

Tiga Schwope