März 2011

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Jon Hassell: Last Night The Moon Came Dropping Its Clothes In The Street
Arve Henriksen: Cartography
(ECM)

Frevler dürften sich bestätigt wissen: Diese beiden neuen ECM-CDs sind derart corporate-identity-mäßig vom Coverartwork bis zum cinematoskopischen Ambientsound gestrickt, dass die Frevler schnell ihren Vorurteilen freien Lauf lassen können und laut „Oh Gott, wie langweilig, wie berechenbar“ rufen. Dabei ist doch Hassels (und wohl auch Henriksens) Credo folgendes: „Meine Musik ist so angelegt, dass man sich jederzeit ein bestimmtes Element raus greifen kann und es keinem Genre, keinem Land zuzuordnen ist“. Eben: Das Spannende an diesen beiden im weitesten Sinne entschleunigten, innehaltenden Soundscapes ist doch gerade, dass sie nicht berechenbar sind. Dass sie durch das Zusammenwirken unterschiedlichster Musikkulturen unter Einflussnahme neuster (Sample)-Technologien eine eigene Klangsprache entwickeln. Hassel, den Ambient-Altmeister als auch Henriksen, den jungen norwegischen „Supersilent“-Macher, verbindet mehr als nur die Tatsache, dass beide Trompete spielen. Das Instrument ist für sie nur ein Medium der Kommunikation, das sich hier gut mit elektronischen Klangerzeugern versteht. Viel entscheidender aber ist das große gemeinsame Ganze: ein metamorphierender Sound, der Bilder hörbar macht und Klänge zu beeindruckenden Bildern verdichtet.

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Willie Nelson/ Wynton Marsalis feat. Norah Jones: Here We Go Again – Celebrating The Genius Of Ray Charles
(Blue Note)

An Verkaufsargumenten für dieses Jazz-Highlight des Frühjahrs mangelt es nicht: Country-Legende Nelson trifft erneut auf Jazztraditionsbewahrer Marsalis. Zudem haben sich die beiden Herren aus den so unterschiedlichen und doch so nahen Genres sich als Herzdame Norah Jones ins Boot geholt. Und zu guter Letzt interpretieren sie auch noch Songs des Soul-Gurus Ray Charles. Soul, Blues, Country – all das ist auf dieser CD eingeflochten. Eine CD, die hält was sie verspricht. Nelson allein mit Mrs. Jones “Hit The Road Jack“ singen zu hören ist den Kauf wert. Und Marsalis Trompetensoli sind voller brillanten Akzente und witziger Formulierungen. Top!

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Vijay Iyer: Panoptic Modes
(PI Recordings)

Der indische Pianist mit US-Wohnsitz gilt vielen als Innovator. Weil er die Jazz-Tradition mit Einflüssen aller Art von indischer Volksmusik bis HipHop aufbereite. Weil er eine ganz persönlichen Stil entwickelt hat, der einfach und komplex zugleich wirkt. Und weil er einfach frischen Wind in die verkrustete Neo-Jazz-Szene der Ostküste bringt. Mögen seine letzten Einspielungen für das Act-Label einigen vielleicht zu verkopft erscheinen, so gibt diese Einspielung aus dem Jahre 2001 Zeugnis eines vitalen und kompromisslosen Soundschöpfers. Die steigt auch an dem Saxofonisten Rudresh Mahanthappa, mit dem Iyer hier fast telepathisch kommuniziert. Die Rhythmusgruppe mit Stephen Crump und Derreck Phillips steht dem in nichts nach.

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Rufus Reid: Out Front
(Motema)

Rufus Reid stand oft im Schatten seiner Arbeitgeber Thad Jones oder Dexter Gordon. Als zuverlässiger Swingaufbereiter ist er noch immer ein gern gesehener Gast in vielen Studios. Auf dieser CD aber darf Reid „Out Front“ treten. Was nicht heißt, dass hier jetzt eine One-Mann-Show mit virtuosen Kabinettstückchen droht. Dafür ist Reid viel zu sehr Teamplayer. Aber im Zusammenspiel mit Duduka Da Fonseca am Schlagzeug und Steve Alle am Piano kommt seine individuelle Note, seine warme Tongebung verstärkt zu Geltung. Er ist hier der Richtungsweiser und Regisseur des improvisatorischen Geschehens, das mal bluesig, als Bossa-Nova-inspiriert ausfällt.

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Charnett Moffett: Treasure
(Motema)

Aus der Musikerdynastie der Moffets (Papa Charles spielte bei Ornette Coleman) hat es Bass-Mann Charnett am weitesten gebracht. Er ist als Sideman begehrt, in allen Genres zu Hause und sehr variabel. Wie diese Solo-CD beweist: Er kann den mit allen Wassern gewaschenen Modern-Jazzer rauskehren, er hat den Blues, er mag es modal (famos: “The Celebration”), er versteht sich auf Weltmusik. Mit Coleman-Sohn Deonardo offenbart er sogar seine Auslegung der harmolodischen Spielweise des Free-Jazz-Altmeisters. Eine abwechslungsreiche wie beeindruckende Klangreise, die nach zwölf Songs mit “Sound Healing“ (Soundheilung) entspannt ausklingt.

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The Cookers: Warriors
(Jazz Legacy Productions)

Was nun? Krieger oder Köche? Beides natürlich: Diese Allstarband ist auf Kriegsfuß mit den Klischees des Hard-Bop, sie kocht lieber ihr eigenes Soundgebräu. Natürlich fußt dieses in den Innovationen, die Größen wie Rollins oder Coltrane in den wilden Sechzigern erschaffen haben. Aber das Cookers-Septett macht mit seinem vitalen, blues-insprierten Modal-Jazz-Kampfansagen allen Spaß, die auf Platten der Strata-East- oder Black-Jazz-Labels in den Siebzigern stehen. Ganz große Schule, ganz großes Kino, in den Hauptrollen Billy Harper, Eddie Henderson, David Weiss, Craig Handy, George Cables, Cecil McBee und Billy Hart.

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Yotam: Resonance
(Jazz Legacy Productions)

Allein die Besetzung (Aaron Goldberg, Piano; Christian McBride, Bass; Gregory Hutchinson, Drums und Roy Hargrove an der Trompete bei zwei Tracks) ist zum Zungenschnalzen – und verspricht modernen Jazz auf Weltklasseniveau. Dieses lässt sich dem Bandleader ebenfalls zusprechen. Der israelische Gitarrist (und Sänger) Yotam zelebriert auf Augenhöhe mit den großen Namen die hohe Schule der Blue-Note-Legekunst: sehr geschmackvoll, sparsam akzentuiert und mit großer melodischer Sensibilität.

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Arturo Sandoval & WDR Big Band: Mambo Nights
(Connector/in-akustik)

Ein Zusammentreffen, bei dem sich auch ohne Vorhören unschwer ausmalen lässt, was kommt: der Meister des drei-, ach was, viergestrichenen C, der Stratosphärentrompeter Arturo Sandoval zelebriert mit der grammy-gekürten WDR Bigband die große Kunst und Seele afro-kubanischer Musik. Was wir hören lässt nur einen Schluss zu: der nächste Grammy-Gewinn kommt bestimmt. Sandoval, bekannt geworden durch die Band Irakere, ist in Topform und platziert sein blitzsauberen Läufe über die feurigen Arrangements der von Phillipp Mossmann geleiteten Bigband. Gespielt werden die greatest Hits des Latin Jazz – von Mongo Santamarias „Sofrito“ über Tito Puentes „Oye Como Va“ bis zu Dizzy Gillespies „Manteca“. Ein Muss für Bigband-Liebhaber – und Latin-Fans ebenso

Rezensionen von Tiga Schwope

Verlosung

Jazz over Hannover verlost jeweils 3 CDs von Rufus Reid und Charnett Moffett! Wer gewinnen möchte, schickt eine Email mit dem Betreff „Motema“ an:
verlosung@nulljazz-over-hannover.de
Einsendeschluss ist der 21.4.2011, 12.00 Uhr. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.