Mai 2003

David Murray Latin Big Band: Now Is Another Time
(Justin Time/Sunny Moon)

Auffällig ruhig war es um David Murray in letzter Zeit. Früher verging kein Monat, wo nicht eine CD des am besten dokumentiertesten Jazz-Saxofonisten der Welt erschien. Nun wissen wir, warum es ein wenig gedauert hat: David Murray war in Cuba, hat dort mit einer großen Bigband aus alten Free-Bop-Kollegen und einheimischen Latin-Jazzern gearbeitet und somit ein für ihn noch unberührtes Fleckchen Musik entdeckt. Ein pauschaltouristisches Folklore-trifft-Jazz-Album ist es nicht geworden, vielmehr (und das war zu erwarten) mischt Murray die rhythmische Essenz kubanischer Musik mit der ganzen Klangfarbenpalette, die Jazzbands seit Duke Ellington zur Verfügung steht. Den Avantgardisten wieder der Norm spielt er dabei nur gelegentlich, wenn er die Skalen quiekend rauf und runter sprintet. „Now is Another Time“ ist ein rundes, zündendes, aber nicht bahnbrechendes Album. Zu schräg für den Mainstream, zu gefällig für den Murray-Verehrer der Loft-Jazz-Periode.

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Mark O’Connors Hot Swing Trio: In Full Swing
(Sonny Classical)

Nichts als Superlative: Heiß soll es sein und schön und voll swingen. Der Violinist Mark O’Connor hat sich viel vorgenommen auf seiner neuen CD – einem Tribut an den legendären Jazzgeiger Stephane Grappelli. Den Superlativen wird die Zigeunerswing-Rückschau durchaus gerecht. O’Connor fidelt fidel durch Klassiker wie „Tiger Rag“ oder „Fascinating Rhythm“, es swingt famos und für kleine Highlights sorgen die Gaststars Jane Monheit (Gesang) und Wynton Marsalis (Trompete).

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John Taylor Trio: Rosslyn
(ECM)

Im Schatten anderer Jazz-Piano-Vituosen hat John Taylor sich sein eigenes Terrain abgesteckt. Improvisatorische Glanzlichter und technische Kabinettstückchen überlässt er anderen, seine Kunst liegt in der Reduktion auf das Wesentliche, in einer harmonisch wohl ausbalancierten Klangsprache, die abstrakt wie lyrisch einfühlsam zugleich wirkt. Zusammen mit dem Allstar-Rhythmusteam um Bassist Marc Johnson und Schlagzeuger Joey Baron ist ihm eine subtile, sehr schöne, introspektive Piano-Trio-Platte gelungen.

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Matt Wilson: Humidity
(Palmetto/SunnyMoon)

Ein Talent, dass mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: in dieser Kategorie hat es Matt Wilson ganz nach vorne geschafft. Der Schlagzeuger ist keiner, der faule Kompromisse eingeht, aber doch gerne auch ein Pop-Stück im Repertoire hat. So zeichnen sich seine bisherigen Solo-Alben durch eine hintergründigen Spannung zwischen Komplexität und einfachen Strukturen aus: moderner Jazz mit enormen Drive, voller Vitalität und Risikobereitschaft. Auch auf seiner neuen CD „Humidity“ wagt Wilson und sein eingespieltes Quartett um die Saxofonisten Andrew D’Angelo und Jeff Lederer viel – und gewinnt., Raga-Rhythmen, Folk, Funk und Jazz fließen inspiriert zusammen. Und selbst ein BeBop-Klassiker wie Tadd Damerons „Our Delight“ klingt hier erfrischend und Vital, als wäre BeBop gerade erst erfunden worden.

Novocento: Featuring…
(MCC/Sony)

Die Gebrüder Nicolosi sind unter dem Projektnamen Novocento keine Unbekannten mehr: in Italien nicht und auch nicht in New York. In der dortigen Studiomusikerszene genießen die Tifosi den Ruf, das italiensche Pendant zu Becker & Fagen aka Steely Dan zu sein. Also ließen sich Musiker wie Billy Cobham,, Michael Brecker , Stanley Jordan, Jeff Berlin, Toots Thielemanns, Dave Liebman oder Billy Preston nicht lange bitten, um auf dem neuen Novocento-Album mitzuwirken. Groß fallen sie aber nicht auf. Dafür ist der Pop-Jazz-Rahmen zu eng gestrickt, um virtuos verwobene Jazz-Ornamente einzustreuen. Dennoch: für alle, die es ein wenig sanfter mögen, ist diese perfekt produzierte CD zu empfehlen.

Chick Corea: Rendevouz In New York
(Universal)

60 Jahre ist Chick Corea alt geworden. Gefeiert hat er – wie für einen Jazzer üblich – nicht zu Hause, sondern im legendären New Yorker Club Blue Note. Und das nicht nur an seinem Geburtstag, sondern auch jeden zweiten Tag über drei Wochen verteilt – Damit auch alle dabei sein konnten. Vor allem seine Musikerfreunde, die der Tastenvirtuose in unterschiedlichen Besetzungen auf die Bühne geladen hatte. Sein Trio mit John Patitucci und Dave Weckl, sein Sextett Origin und lieb gewonnene Duo-Partner wie BobbyMcFerrrin oder Gary Burton waren dabei. Dazu noch Gäste wie Roy Haynes, Michael Brecker, Gonzalo Rubalcaba und viele mehr. Womit eigentlich auch klar ist, was auf dieser die Festivitäten dokumentierenden Doppel-CD zu erwarten ist – eine Werkschau durch die beeindruckende Karriere Coreas, mit seinen wichtigsten Kompositionen und Standards. Natürlich gespielt auf Weltklasse-Niveau und mit jenen Verspieltheiten, Schlenkern und überraschenden Klangfarben, die den nie stehen gebliebenen Altmeister auszeichnen.

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Flora Purim: Speak No Evil
(Narada Jazz/Virgin/EMI)

Mit ihrem letztjährigem Debüt-Album für das Narada Jazz Label gelang Flora Purim ein viel beachtetes Comeback. Nun , ein richtiges Comeback war es nicht, aber die erste CD., die die große Dame des brasilianischen Jazz wieder in alter Form zeigte. Der Nachfolger „Speak No Evil“ bestätigt den gewonnenen Eindruck. Diesmal sind es ausgewählte Jazz-Standards von Gershwin bis Shorter, denen Purim ihren brasilianischen Stempel aufdrückt. Die Standardwerke strahlen in neuem Glanz, die Klangfarben schillern so bunt wie ein Amazonas-Papagei – aufgetragen von alten Weggefährten Purims wie Percussionist Airto und Gitarrist Oscar Castro-Nerves. Faszinierend!

Andy Middleton: Reinventing The World
(Intuition/SunnyMoon)

Die Welt wird Andy Middleton mit seiner Musik nicht aus den Angeln nehmen, der Titel seiner neuen CD ist eher von globalen Charakter. Dennoch ist der Saxofonist Andy Middleton mehr als nur ein Neo-Bopper, der auf alten Harmoniegerüsten virtuos rumturnt. Seine subtilen Bläserarrangements und filigranen Improvisationsketten finden die richtige Balance aus Anspruch und Ursprünglichkeit. Was angesichts von Sidemen wie Kenny Wheeler an der Trompete und Nils Wogram an der Posaune auch nicht verwundert.

Opus Akoben: Raw Life
(Label Bleu/SunnyMoon)

Expect the unexpected. Erwarte das Unerwartete. So könnte die Überschrift einer Anzeige für das französische Ausnahme-Label Label Bleu lauten. Aber das hat Label Bleu gar nicht nötig – die grenzgängerischen Projekte überzeugen auch ohne Marketing durch Qualität und Innovation. Sogar eine HipHop-Band hat es jetzt in das Artist Rooster von LB geschafft: Opus Akoben aus Washington, ein Rap-Trio, das schon mit u.a Omar Sosa und Steve Coleman zusammengearbeitet hat. Bei einem Major hätten OA auch keine Chance gehabt: ihre mit gewagten Scratches, instrumentalen funky Jams und deepen Soul-Gesang aufgewerteten Reimelaborate trotzen allen HipHop-Klischees. Aber: sie sind dennoch kein lauer Jazz-HipHop-Fusion-Aufguß, sondern besitzen die Rauheit und Sophistication von Bands wie Jungle Brothers oder A Tribe Called Quest. HipHop, der sich nach allen Seiten öffnet und allen Jazzern und HipHoppern empfohlen sei, die die Parallelen zwischen beiden Kunstformen noch nicht entdeckt haben.

Rezensionen von Tiga Schwope