„Ein wertvolles Stück Kultur in Hannover“ – 45 Jahre Jazz Club Hannover

Die Jazz Club-Troika Bernd Strauch, Uwe Thedsen und Nicolas Sempff im Interview

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Die Nachricht vom Tod des Stadt-Imagepflegers und Jazz Club-Vorsitzenden Mike Gehrke sorgte am 4.6.2004 weit über die Grenzen Hannovers hinaus für große Bestürzung. Die Stadt verlor einen unermüdlichen Verfechter für Kunst und Kultur – und der Jazz Club seine Lichtgestalt. Was für viele zunächst als unvorstellbar galt, ist nun selbstverständlich: Es gibt ein Jazz Club-Leben nach Mike Gehrke. In verantwortlicher Position sind jetzt Bernd Strauch (1. Vorsitzender), Uwe Thedsen (2. Vorsitzender) und Nicolas Sempff (Booking) für den Club tätig.

Der „Orange Club“, so von Insidern wegen der orangen Wände benannt, feiert im Oktober 45-jähriges Bestehen. Die höchst professionelle Kulturarbeit, die der Club auf dem Lindener Berg betreibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Jazz Club Hannover als eingetragener Verein ausschließlich ehrenamtlich tätig ist. Aktuell hat der Verein 84 Mitglieder.

Dabei beschränken sich die Club-Aktivitäten nicht allein auf den Konzertbetrieb in den Clubräumen. Der Verein ist federführend u.a. beim traditionsreichen enercity swinging Hannover Festival auf dem Traumpalast, bei „Hot Advent“ im Kuppelsaal, seit diesem Jahr auch bei „Jazz am Ballyhoo“ und war Wegbereiter für Jazz-Rock-Pop-Studiengang an der Musikhochschule, der dieses 25-jähriges Jubiläum feiert.

JazzScene: Herr Strauch, Herr Thedsen, welche Verbindung hatten Sie im Gründungsjahr des Jazz Clubs zum Jazz?

Strauch: Ich war damals 17 Jahre alt und habe leidenschaftlich, aber nicht begnadet in einer Beatband Schlagzeug gespielt. Ich wusste, dass es Jazz gab; er war für mich eine Musikrichtung, die ich nicht spielen konnte und von der ich annahm, das sie ausschließlich für intellektuelle Menschen gemacht sei. Ich habe Jazz-Musiker damals zwar bewundert für das, was sie können, aber letztlich dennoch nur am Rande zur Kenntnis genommen.

Thedsen: Auch ich wusste, dass es Jazz gab. Zwar war ich mit 20 Jahren etwas älter als Bernd, hatte aber dennoch wenig Berührungspunkte mit Jazz. Ich komme mehr aus der Rock’n’Roll- und Beat-Zeit und war Stammgast im alten Savoy am Marstall.

JazzScene: Zu den Anfängen des Clubs haben Sie demnach auch keine Erinnerung?

Strauch: Die kennen wir alle drei nur aus Erzählungen und alten Unterlagen. Mein Kenntnisstand ist der, dass damals in unterschiedlichen Gaststätten Jazzmusik gespielt wurde. Es gab dann den Versuch, die Szene im Haus der Jugend zu bündeln. Das ging aber nicht gut, weil es dort zu laut wurde. Der damalige Hausmeister, Fred Krämer, war auch involviert in das Gebäude, das auf dem Lindener Berg stand, und das vor langer Zeit für kaiserfreundliche Jugendliche in der selbstständigen Stadt Linden gebaut worden war. Nach dem Krieg wurde es zur städtischen Kindertagesstätte. Fred Krämer sagte schließlich: „Auf dem Berg gibt es einen Keller, in den können die Jazzer rein, da stören sie niemanden.“

Bernd Strauch

Bernd Strauch


Sempff: Der Vorgesetzte von Fred Krämer war der damalige Stadtjugendpfleger Horst Niebuhr, der schließlich grünes Licht für die Ausgestaltung eines Jazz Clubs gab. Fred Krämer war dann viele Jahre zweiter Vorsitzender des Jazz Clubs. Das heißt, zunächst musste die Stadt Hannover ihr Ja-Wort geben, und die Jazz-Fans haben sich um die von der Stadt vorgegeben Struktur herum gefunden. Zu den ersten leitenden Personen zählten neben Fred Krämer vor allem Wolf Struck, Helmut ??? und etwas später auch Mike Gehrke.

JazzScene: War Mike Gehrke nicht von Beginn an dabei?

Sempff: Er war in den 60er Jahren sehr rührig in Sachen Jazz, war aber keiner der Gründungsväter des Clubs. Er lebte einige Zeit in den USA, kam erst 1968 zurück und engagierte sich danach im Jazz Club. Gegründet wurde der Club zunächst einmal ja als reine Spielwiese für hiesige Musiker. An eine professionelle Programmstruktur hat damals niemand gedacht. Diese Professionalität kam erst mit Mike Gehrke dank seiner kaufmännischen Ausbildung und seines strukturgeprägten Denkens dazu.

JazzScene: War Mike Gehrke damals schon städtischer Angestellter?

Strauch: Ja, er hatte seine Beziehungen zur Stadt, war aber noch nicht Stadt-Imagepfleger. Populär geworden ist er ja zunächst nicht durch den Jazz Club, sondern über den Flohmarkt, den er – damals einmalig in Deutschland – ins Leben gerufen hat.

JazzScene: Mikes Gehrkes Position als Stadt-Imagepfleger hat dem Club aber immer gut getan.

Strauch: Absolut. Vor allem auch was die Entwicklung des Swinging Hannover-Festivals betrifft. Zur Premiere dieses Festivals haben die Bands noch auf einem Pritschenwagen gespielt, verstärkt von einem Megaphon. Allerdings war Mikes Einfluss nicht grenzenlos. Im Sinne einer Gleichbehandlung aller Musik- und Kulturschaffenden gab es schließlich nur eine gedeckelte Summe.

JazzScene: Wie viele Konzerte hat es seit 1966 im Jazz Club gegeben?

Thedsen: Wir sind gerade dabei, eine detaillierte Konzert-Historie zu erstellen, mit allen Konzerten und allen Musikern. Im Moment können wir nur schätzen. Bei ca. 70 Konzerten im Jahr werden es also um die 3.000 gewesen sein.

JazzScene: Wie war die Stimmung, als Mike Gehrke über Nacht nicht mehr da war? Stand gar der Fortbestand des Jazz Clubs zur Diskussion?

Thedsen: Wir wussten, dass Mike Gehrke sehr krank ist; dennoch hat uns sein Tod geschockt. Nicolas und ich waren die ersten, die die Todesnachricht bekamen; ein Tag, den wir nicht vergessen werden. Morgens kam die Nachricht, abends war Konzert im Club. Die Stimmung war da entsprechend. Aber es war nicht so, dass wir den Club komplett infrage gestellt haben. Im Gegenteil, wir sagten ohne Zögern: „Es muss weitergehen!“, wussten aber natürlich in dem Moment nicht, wie. Den Club einfach zu beenden wäre auch nicht Mikes Wunsch gewesen. Also haben Nicolas und ich tagelang zusammengehockt und überlegt, wie es weitergehen kann. Was hilfreich und auch sehr rührend war: Jeden Tag kamen Mitglieder in den Club, der außerhalb der Konzerte eigentlich geschlossen ist, um ihre Hilfe anzubieten. Klingt etwas floskelhaft, aber das hat uns tatsächlich Mut gemacht, eine gangbare Lösung anzugehen, uns nicht hängen zu lassen.

JazzScene: Wie kam es dann zum jetzigen Konstrukt?

Thedsen: Die entscheidende Frage war: „Wer hat jetzt welche Verantwortlichkeiten?“ Als wir die Nachricht bekamen, dass Bernd Strauch – für uns damals noch Herr Strauch – bereit sei, als erster Vorsitzender zu fungieren, war das für uns eine schon erlösende Nachricht. Nicolas und mir war klar, dass wir an der Spitze des Clubs eine Persönlichkeit brauchen, die in dieser Stadt bekannt ist. Denn die Fußstapfen, die Mike hinterlassen hatte, waren sehr groß.

Sempff: Viele Außenstehende haben ja gerade wegen Mikes Präsenz im Club nicht daran geglaubt, dass der Club weiterbestehen könnte.

Strauch: Wobei ich anmerken möchte, dass ich keinesfalls darauf gewartet habe, eines Tages den Vorsitz des Jazz Clubs zu übernehmen. Sondern ich wurde angesprochen, ob ich das machen würde – was ich als große Ehre empfunden habe!

JazzScene: Woran hätte es denn gelegen, wenn es mit dem Jazz Club nicht weitergegangen wäre? Das Überleben hing ja sicherlich nicht nur davon ab, einen möglichst bekannten ersten Vorsitzenden zu finden.

Thedsen: Doch, das war schon sehr wichtig. Mike Gehrke hat den Jazz Club 38 Jahre lang geführt; er war „Mister Jazz“, der Club war sehr auf seine Person zugeschnitten, er wurde mit ihm gleichgesetzt. Wenn eine solche starke Persönlichkeit wegfällt, wird ganz automatisch der Fortbestand ihres Werkes infrage gestellt.

Sempff: Weil viele Leute sich nicht vorstellen konnten, dass auch andere einen solchen Club leiten können. Mangelndes Vertrauen hätte aber eine Abwärtsspirale in Gang setzen können, sprich: dass eine Idee zerredet wird, dass es ein Schaulaufen gibt von Personen, die sich einbringen wollen oder auch profilieren wollen.

Thedsen: Es gab da einige, die wir noch nie gesehen hatten, die aber sofort – zum Teil schon wenige Stunden nach der Nachricht von Mikes Tod – wussten, wie man alles besser machen kann. Ich denke aber, es war die richtige Entscheidung, eine neue Struktur aus dem Club heraus zu entwickeln.

Uwe Thedsen

Uwe Thedsen


JazzScene: Was hat sich seit dem Tod Mike Gehrkes im Jazz Club geändert?

Strauch: Der Club wird jetzt durch ein Team arbeitsteilig geführt. Das ist schon augenfällig, wie uns auch oft bestätigt wird. Was früher auf die Person Mike Gehrkes zugeschnitten war, verteilt sich nun auf mehrere Schultern. Jeder von uns bringt seine Stärken ein, sodass es insgesamt für den Club positiv wirkt. Das Ziel bleibt dabei aber der Jazz Club Hannover, eines ganz wertvollen Stücks Kultur in Hannover. Es geht darum, ehrlich damit umzugehen, und nicht darum, dass sich einzelne in den Vordergrund stellen.

Sempff: Auch hat eine musikalische Veränderung stattgefunden. Wir haben das Spektrum erweitert Dahinter stecken zwei Themen. Zum einen: Was strahlt der Begriff Jazz ganz allgemein aus? Und zum anderen: Was machen wir aus einem Jazz Club? Der Begriff Jazz hat schon eine bestimmte Prägung. Junge Leute sagen: „Was soll ich in einem Jazz Club? Da treffe ich meinen Vater und meinen Musiklehrer. Nee, danke!“ Deswegen werden neue Clubs auch nicht mehr Jazz Club genannt, auch wenn sie Jazz präsentieren. Andererseits machen große Jazz Festivals wie jenes in Montreux alles Mögliche, aber kaum noch Jazz. Wir bemühen uns schon, einen Kern zu bewahren. Aber Jazz ist eine lebendige vielfältige Musik, und dieser Vielfalt wollen wir mit unserem Programm auch gerecht werden. Wichtig ist uns, dass sich eine Band gut in den Clubrahmen einfügt. Das kann dann auch schon mal eine reine Blues Band sein.

JazzScene: Wie Booking-erfahren war das neue Team?

Sempff: Das Buchen von Künstlern ist jetzt mein Bereich. Erfahren in diesem Thema war ich eigentlich gar nicht. Ich hatte zwar schon ein paar Mal bei Mike Gehrke über die Schultern geschaut, letztlich aber musste ich mir das Thema komplett neu aneignen. Booking macht man nicht mal eben nebenbei, sondern Künstler zu buchen bedeutet einen hohen Aufwand.

Thedsen: Die Programmgestaltung war ein ganz wichtiger Punkt. Als klar war, dass wir weitermachen, musste auch dieser Bereich neu besetzt werden. Nicolas äußerte einige gute Ideen, sodass wir schließlich sagten: „Dann mach du das doch!“ Und er macht sehr gute Arbeit; ablesen kann man das nicht nur daran, dass in der letzten Saison Zweidrittel aller Konzerte ausverkauft waren, sondern auch daran, dass wir mittlerweile sehr viel junges Publikum im Club begrüßen können, wir überhaupt immer wieder neue Gesichter erblicken.

Strauch: Neben dem sehr gutem Booking ist Nicolas’ großer Verdienst der Umgang mit den Musikerinnen und Musikern. Sie spiegeln uns: „Wir kommen gerne in diesen relativ kleinen Club, wir kommen gerne nach Hannover.“ Es ist wie in einer Familie; so, wie wir mit den Künstlern anständig umgehen, wird auch mit uns hoch anständig umgegangen. Der Jazz Club genießt in der Musikwelt eine hohe Wertschätzung, was vor allem mit den handelnden Personen des Clubs, allen voran Nicolas, zu tun hat. Dass zum Beispiel Musikerinnen und Musiker vom Flughafen abgeholt werden, dass die Ansprache englisch ist und vieles mehr, ist längst nicht selbstverständlich in dem Geschäft. So etwas spricht sich natürlich auch herum, erhöht die Bereitschaft von Künstlern, im Jazz Club aufzutreten.

JazzScene: Wie wichtig war es, von der starren Regelung früherer Tage, Montag Modern Jazz und Freitag Old Time Jazz abzuweichen?

Sempff: Das war sehr wichtig, weil wir sonst viele Künstler nicht hätten buchen können. Entstanden ist die alte Regelung damals aus der Überlegung heraus, dass die meisten Musiker, die auf Tournee sind, montags einen off day, also einen Tag ohne Auftritt haben, weil da kaum ein Veranstalter ein Konzert macht. Musiker wollen aber möglichst viel auf einer Tournee spielen. Und bevor sie einen off day haben, verzichten sie lieber auf einen Teil ihrer übliche Gage, sodass sie für den Jazz Club erschwinglich wurden. Wenn aber, aktuelles Beispiel, Pee Wee Ellis darum bittet, statt Montag Mittwoch auftreten zu dürfen, werden wir nicht sagen: „Herr Ellis, das ist jetzt ganz unpassend, Mittwoch ist kein Montag.“ Warum auch sollen wir so starr denken? Wichtig ist, dass unser Publikum weiß, dass es ein, zwei Konzerte pro Woche gibt und dass es sich auf eine gewisse Qualität verlassen kann.

JazzScene: Große Namen kosten auch oft großes Geld, trotz off day. Wie wichtig ist in dem Zusammenhang die Gesellschaft der Freunde des Jazz?

Thedsen: Wir bezeichnen sie als unser finanzielles Rückgrat. Manche Konzerte ließen sich ohne die Zuwendung der Gesellschaft nicht realisieren.

JazzScene: Zumindest nicht zu den moderaten Eintrittspreisen, für die der Jazz Club bekannt ist.

Strauch: Richtig. An diesen Preisen wollen wir nach Möglichkeit auch festhalten; das ist unser Kulturbeitrag für Hannover. Und wenn man bedenkt, dass wir maximal 130 Besucher in den Club lassen dürfen, wird schnell deutlich, dass wir internationale Musikgrößen bei Eintrittspreisen von maximal 20 Euro ohne Förderung niemals würden bezahlen können. Wir sind also auch immer mit Klinkenputzen beschäftigt, nicht nur bei der Gesellschaft der Freunde des Jazz, die ja fast schon ein Förderverein des Jazz Clubs ist, sondern auch bei Stiftungen und Unternehmen. Besonders, wenn es um besondere Veranstaltungen geht wie dem Festival auf dem Trammplatz zu Himmelfahrt. Ohne den Einsatz von enercity wäre swinging Hannover nicht durchführbar. Für Jazz am Ballhof haben wir jetzt die Sparda-Bank als Sponsor gewonnen. Ohne deren Mittel würde es diese Reihe nicht mehr geben.

JazzScene: Sponsoren schauen sicherlich sehr genau, mit wem sie zusammenarbeiten, was ein Sponsoring an sogenanntem Response bringt?

Strauch: Natürlich. Auch das spricht für unser gut funktionierendes Team. Sponsoren wissen, dass sie sich auf uns verlassen können, dass wir keine Hallodris sind, sondern seriöse Arbeit leisten und ein Interesse an der Stadt haben.

JazzScene: Sie erwähnten gerade die besondere Wertschätzung, die Musiker dem Jazz Club entgegenbringen. Geht das soweit, dass auch bekannte Namen von sich aus auf den Club zukommen und sagen: „Ich möchte gerne bei euch auftreten!“?

Strauch: Die Frage müsste lauten: „Wie viele Künstler müssen Sie ablehnen?“

Sempff: Das ist die Tragik des Booker-Daseins. Man könnte eigentlich jeden Tag ein gutes Konzert veranstalten. Die Qualität der Jazz-Szene ist einfach sehr hoch, und die Szene umfasst sehr viele Musiker – die alle auch Auftrittsgelegenheiten suchen. Entsprechend werden wir angefragt; und das auch von den großen Namen. Und wer hier gespielt hat, kommt gerne wieder. Dazu eine bezeichnende Anekdote. Vor einigen Jahren spielte erstmalig Bill Evans im Club. Zunächst kam der typische Moment: Er sah sich um und meinte, er sei ja alles „crazy orange“. Dann erblickte er die Porträts an den Wänden von den Musikern, die hier schon aufgetreten sind. Er sah sich diese Bilder an und staunte: „Da sind ja auch alle meine Freunde aus New York! Warum war ich denn noch nie hier?“ Am Ende des Konzertes fühlte er sich richtig heimisch bei uns – so sehr, dass er nun über seine Agentur auf uns zukam und bat, wieder mal in diesem tollen Club spielen zu dürfen – was nun am 31.10. passiert.

Thedsen: Es kommen immer wieder mal Agenturen, die Weltstars betreuen, auf uns zu und sagen: „Wir trauen euch zu, mit Musiker XY ein Konzert zu veranstalten. Habt ihr Interesse?“ Agenturen sind da sehr penibel. Wenn ein Konzert in die Hose geht, bekommen sie Ärger mit ihren Künstlern.

JazzScene: Wäre der Jazz Club, so wie er 1966 eröffnet wurde, heute überhaupt noch möglich angesichts all der Auflagen, mit denen sich Kultur gegenwärtig zu befassen hat?

Strauch: Angesichts des Verwaltungswustes der europäischen Gesetzgebung, angesichts dessen, was Menschen in Administrationen sich auszudenken in der Lage sind, würde ich nicht mal mehr eine halbe Hand dafür ins Feuer legen, dass ein solcher Club heute etabliert werden könnte. Das erfahren wir leider an anderer Stelle. Insgesamt aber arbeiten wir mit der Stadtverwaltung gut zusammen, die ja diese Gesetze auch nicht macht.

JazzScene: Es sind im Laufe der 45 Jahre sehr viele Konzerte mitgeschnitten worden. Da sind doch bestimmt viele Perlen darunter. Was passiert mit diesen Aufzeichnungen? Werden die jemals veröffentlicht?

Sempff: Wir haben ein sehr gutes Archiv, das sich über mittlerweile drei Räume erstreckt, vollgestellt mit Schallplatten, CDs, Fotos, Akten, Plakaten, Flyern und eben auch Tonbändern. Aus rechtlichen Gründen können wir heute nicht mehr alle Konzerte aufzeichnen. Früher waren die Zeiten da noch freier, da lief dann oft unsere Bandmaschine mit. Wir erhalten diese Tondokumente. Veröffentlichen können wir sie aber nicht, dafür müssten wir zunächst einmal mit dem Copyright-Inhaber sprechen, ob das ginge. Aber das ist ohnehin auch nicht unser Anspruch. Wir sind Konzertveranstalter.

Thedsen: Maximal kann man darüber nachdenken, die Mitschnitte mal in kleinerem Rahmen öffentlich abzuspielen – wenn das denn rechtlich möglich ist.

JazzScene: Stichwort Archiv: Ein Thema, das Mike Gehrke immer am Herzen lag, war ein Jazz Museum in Hannover zu etablieren. Steht das noch auf der Agenda des Jazz Clubs?

Thedsen: Das war mehr eine städtische Idee, mit Unterstützung des Jazz Clubs. Die Idee ist phantastisch, man sollte sie immer am Leben erhalten. Als aber nach einem Architektenwettbewerb die Kosten für ein solches Projekt sichtbar wurden, wurde das Thema schwieriger. Das geht es um einen höheren Millionenbetrag, für den sich dann nicht genügend Unterstützer gefunden haben.

JazzScene: Nach den Querelen um vermeintliche Lärmbelästigung gab es dieses Jahr wieder die Reihe Jazz am Ballhof, unter Federführung des Jazz Clubs. Sind nun alle musikempfindlichen Altstadtbewohner befriedet?

Thedsen: Sponsor ist die Sparda-Bank, die Organisation macht der Jazz Club. Was das Thema „Lärm“ betrifft: Es gibt eine Veranstaltungsgenehmigung seitens der Stadt, die ganz klar die maximal zulässigen Dezibel beinhaltet. Diese Grenze wird von uns eingehalten. Bei jedem Konzert finden Messungen statt, sodass wir den Geräuschpegel immer exakt dokumentieren können. Bisher sind aber auch keine Beschwerden gekommen. Im Gegenteil, die Resonanz ist hervorragend. Bleibt zu hoffen, dass wir die Reihe nächstes Jahr fortsetzen können.

Nicolas Sempff

Nicolas Sempff


JazzScene: Haben sich besagte Anwohner dieses Jahr noch mal gemeldet?

Thedsen: Bisher nicht. Sie geben Ruhe…

Sempff: …in der lautesten Stadt Deutschlands.

JazzScene: Der Jazz Club hat vor vier Jahren das Projekt „Jazz in School“ initiiert. Steckt dahinter ein gewisser missionarischer Eifer, den Jazz weiterzutragen?

Thedsen: Unser Anliegen ist es, Jazz und seine Historie zu vermitteln. Und wir wollen junge Menschen generell für Musik begeistern. Für ein unmittelbares Musikerlebnis eignet sich der Jazz Club hervorragend. Dank „Jazz in School“ und auch anderer Initiativen kommen manchmal komplette Klassen in den Club; also um die 30, 40 junge Leute, die teilweise noch nie ein Livekonzert erlebt haben. Wenn sie dann so nah an der Bühne sind, dass sie Künstlern die Hand reichen können, wenn sie erleben, mit welcher Intensität Künstler ihre Musik vortragen, dann beeindruckt das viele dieser Besucher, dann bekommen sie einen ganz anderen Zugang zur Musik. Junge Menschen sind sehr empfänglich für eine derart direkte Ansprache.

JazzScene: Was es nicht mehr gibt, ist Winning Jazz…

Thedsen: Winning Jazz hat leider eine Unterbrechung hinnehmen müssen, weil uns ein Sponsor weggebrochen ist. Wir arbeiten weiter daran, Sponsoren für diesen Wettbewerb zu finden. Im Augenblick können wir aber keine Aussage dazu machen, wann es mit Winning Jazz weitergeht.

JazzScene: Was ist mit Hot Advent?

Thedsen: Auch da suchen wir einen Sponsor, sind aber sehr hoffnungsfroh, einen solchen zu finden.

JazzScene: Mit enercity swinging Hannover, der Reihe Jazz am Ballhof oder mittels Kooperationen wie mit dem Pavillon tritt der Jazz Club deutlich sichtbar auch jenseits des Lindener Bergs auf. Sind Sie bestrebt, diese Auswärtsspiele noch zu intensivieren?

Sempff: Eigentlich nicht. Der Club auf dem Lindener Berg wird immer der Schwerpunkt bleiben. Kooperationen wie mit dem Pavillon ergeben sich einfach ab und zu aus den Kontakten, die wir haben. Die hannoverschen Kulturschaffenden sind ziemlich gut miteinander vernetzt. Und wenn eine Zusammenarbeit wie eben mit dem Pavillon für beide Seiten gut ist, warum soll man sie dann nicht umsetzen? Ich denke, solche Kooperationen dokumentieren sehr gut den Austausch innerhalb der Kulturszene, der notwendig ist. Wenn jeder in seinem Elfenbeinturm sitzen bleibt, bewegt sich irgendwann gar nichts mehr.

Thedsen: Wir müssen halt aufpassen, dass diese Auswärtsspiele nicht dazu führen, das eigentliche Anliegen des Jazz Clubs zu verwässern, nämlich auf ehrenamtlicher Basis Jazzmusik lebendig zu halten.

JazzScene: Früher wurde das Trammplatz Festival zu Himmelfahrt mal live auf N3 übertragen. Warum passiert das nicht mehr?

Sempff: Schwer zu sagen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der NDR seinen Hauptsitz in Hamburg hat.

Thedsen: Allerdings gibt es von unserer Seite auch nicht so intensive Bestrebungen, nun unbedingt Fernsehpräsenz haben zu müssen.

Sempff: Der Bekanntheitsgrad ist ja auch kaum noch zu steigern, jeder in Hannover kennt die Veranstaltung, und mehr als den Trammplatz füllen geht nicht. Es gibt da die schöne Geschichte zur Eröffnung der Expo 2000, die zusammen fiel mit Swinging Hannover. Am Bahnhof wurden Ankommende von Medienvertretern befragt, was sie denn von der Expo erwarten würden. Und es kam die Anwort: „Wieso Expo? Ich gehe zum Jazz am Trammplatz.“

Thedsen: enercity swinging Hannover ist im Grunde mehr als das Festival vor dem Neuen Rathaus. Mittlerweile ist daraus eine Partymeile geworden, die sich bis tief in die Altstadt erstreckt.

JazzScene: In fünf Jahren existiert der Jazz Club 50 Jahre. Gibt es noch Ziele, die bis dahin verwirklicht werden sollen?

Sempff: Ich denke, wenn wir den jetzigen erfolgreichen Stand wahren können, wäre das schon sehr klasse. Ein Ziel ist also, die hohe Qualität unseres Programms zu halten. Neue Aufgaben ergeben sich auf dem Weg.

Thedsen: Man darf ja nie vergessen, dass wir ausschließlich ehrenamtlich arbeiten. Da ist das, was wir als Club insgesamt bisher erreicht haben, schon sehr bemerkenswert. Natürlich gibt es noch Wünsche, besonders hinsichtlich des einen oder anderen Musikers, den wir gerne mal zu Gast hätten.

JazzScene: Hannover ohne Jazz Club wäre…

Sempff, Strauch, Thedsen: …immer noch Landeshauptstadt, aber kulturell ärmer.

Interview: Karsten Wende, Jens-Christian Schulze
Text und Fotos: Jens-Christian Schulze