„Ich bin nicht der klassische Jazzmusiker“

Zu den ariviertesten Musiker der hiesigen Szene zählt der Saxofonist Stephan Abel. Der 45-Jährige, der – geboren in Brake bei Delmenhorst – als Jugendlicher nach Hannover kam, kann auf eine beachtliche Vita verweisen. Seit 2006 ist er sehr erfolgreich als Begleitmusiker von Roger Cicero unterwegs, kein Grund aber für Stephan Abel abzuheben. Im Interview erweist er sich als humorvoller, unaufgeregter Gesprächspartner – der der Autogrammbitte einer Dame freundlich-verlegen und nicht allürenhaft nachkommt.

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Stephan, seit wann bist Du Profi-Musiker?

Seit 1983. Als 19-Jähriger fing ich gleich in der Band von Gene Conners an. Damals studierte ich in Köln Jazz und wurde von Gene Conners für eine Tournee „eingekauft“, der Kontakt kam über seinen Pianisten zustande. Schließlich war ich sieben Jahre festes Bandmitglied. Später habe ich auch mit Charly Antonini zusammengearbeitet, habe fest in seiner Band, einer so genannten Small Big Band mit drei, vier Bläsern gespielt. Die eigentliche Initialzündung für mein professionelles Musikerdasein aber war Gene Conners. Von ihm habe ich unheimlich viel gelernt.

Wie war das als junger Kerl in einer so erfahrenen Band?

Das war natürlich schon etwas sehr Besonderes. Nicht nur, was mein Alter betraf. Auch war ich, nachdem der Pianist zwischenzeitlich ausgestiegen war, der einzige Weiße in der Band. Und als 19-Jähriger in einer Band mit 50-, 60-Jährigen gestandenen schwarzen Musikern … Ich wurde desöfteren ziemlich verarscht. Die Jungs hatten ihren Spaß mit mir (lacht). Das wissen die übrigens heute noch, ich habe einige von ihnen neulich wiedergetroffen. Ein Tenorsaxofonist müsse jede Nacht eine Flache Cognac trinken, haben sie mir damals zum Beispiel versucht beizubringen.

So leichtgläubig warst Du aber nicht?

Na ja, vor allem habe ich es nicht geschafft (lacht).

Immerhin aber warst Du vorbereitet, als Dich letztes Jahr Lonnie Smith im Jazz Club spontan auf die Bühne holte und Dich ausgetestet hat.

Oh ja, der hat mich wirklich ausgetestet. Holte er mich zu einem Stück auf die Bühne, das ich nicht kenne … Lonnie Smith hat so dermaßen den Schalk im Nacken, das war schon lustig – und sehr spannend zugleich. Mit einem solch begnadeten Musiker plötzlich zusammenzuspielen, ist schon eine Herausforderung …

… die Du aber ganz offensichtlich zur Zufriedenheit von Lonnie Smith gemeistert hast.

Ich denke schon. Kurz darauf spielte ich mit ihm in Amsterdam, und dort hat er mich wie selbstverständlich als Bandmitglied angekündigt. Wir haben also ohne Probe so getan, als gehörte ich zur Gruppe. Ich kam damit sehr gut klar, da machten sich dann in der Tat auch die Erfahrungen bezahlt, die ich bei Gene Conners gesammelt hatte.

Du hast eine musikalische Ausbildung gemacht?

Ja, zunächst studierte ich in München an der Jazz School des Pianisten Joe Haider. Nach einem Jahr bin ich dann an die Musikhochschule in Köln gewechselt und habe dort Jazz studiert. Das war damals einer der ersten Jazzstudiengänge in Deutschland. Jazz studieren war das, was ich wollte, auch wenn ich das Studium letztlich nicht abgeschlossen habe, weil ich so viel mit Gene Conners unterwegs war.

Kann man Jazz überhaupt studieren? Oder lernt man nicht viel mehr, wenn man mit einem Gene Conners auf Tournee geht?

Das ist eine berechtigte Frage. Es gibt natürlich im modernen Jazz schon viel Theorie, die man auch kennen muss, wenn man da weiterkommen will. Andererseits finde ich aber, dass das nur ein Teil dessen ist, was man lernen kann. Ich persönlich hatte schon das Gefühl, dass ich mit der Band auf Tour mehr lerne als im Hörsaal einer Universität, zum Beispiel was dem Umgang mit dem Publikum betrifft. Gene Conners wusste genau, wie ein Programm zu gestalten ist, wie man auf welche Situation reagiert, wie man mit Stimmungen umgeht. Gerade das finde ich sehr wichtig. Ich bin nun mal kein reiner Modern Jazz-Musiker, der gnadenlos sein Ding durchzieht und dem das Publikum dabei völlig egal ist. Mir ist die Kommunikation mit dem Publikum wichtig. Und das fehlt vielen Jazz-Musikern, die frisch von einer Musikhochschule kommen. Wenn man nur für sich, nur für Musiker spielt, hat das keine Zukunft, dann ist man schnell von der Bildfläche verschwunden.

Kann Dir ja nicht passieren. Du bist ganz gut im Geschäft, lebst allein vom Musik machen …

Ja, seit drei Jahren. Davor habe ich – insgesamt 15 Jahre – zusätzlich an der Musikschule unterrichtet, um meinen Lebensunterhalt verdienen zu können.

Das Engagement in der Begleitband von Roger Cicero hat Dir diesen Schritt sicherlich leichter gemacht?

Das glaubt alle Welt, aber ich bin diesen Schritt schon vorher gegangen. Damals haben wir bereits in der Formation After Hours zusammengespielt. Dass Roger Cicero mit dem Swing-Thema so durchstartet, war zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht abzusehen – hilft mir nun aber natürlich, komplett von der Musik zu leben, keine Frage. Jedoch gab es davor auch mal drei Monate, wo ich gar nichts zu tun hatte, da wurde ich dann doch etwas unruhig. Allerdings nicht panisch. Wenn es denn gar nicht mehr mit der Musik laufen sollte, wäre ich mir auch nicht zu schade etwas anderes zu machen. Irgendwie findet man doch immer einen Job, um eine Durststrecke durchzustehen.

War es früher, als Du als Musiker angefangen hast, einfacher, mit der Musik, speziell mit Jazz Geld zu verdienen?

Eigentlich nicht. Auch in den 80er Jahren war Jazz nicht so groß angesagt, dass man dick verdienen konnte. Um speziell von Jazz leben zu können, musst du auch Galas, Firmenveranstaltungen und Ähnliches spielen, darfst du keine Berührungsängste mit anderen Bereiche wie Blues oder Soul haben. Früher gab es allerdings noch mehr Bigbands, in denen man Erfahrungen sammeln konnte und mit denen man auch Geld verdienen konnte.

Aber es gibt immer wieder Projekte, die gut funktionieren, siehe Roger Cicero …

Das ist sehr faszinierend und auch lehrreich für alle Musiker, wie man eine Idee so konsequent und so erfolgreich umsetzen kann. Deutsche Texte und allemann einen Hut aufgesetzt – passte natürlich ganz gut, dass mit Roger Cicero der ideale Mann für dieses Projekt gefunden wurde, der mit dem Salonorchester Linden Mitte schon eine sehr gute, eingespielte Band im Rücken hatte. Wie gut das funktioniert, zeigt die Tatsache, dass wir nun drei Jahre lang erfolgreich auf Tour sind, auch die mittlerweile dritte CD immer noch viele Käufer findet.

Ohne entsprechendes Management, ohne eine große Plattenfirma würde das aber nicht funktionieren?

Ohne geht es nicht. Du kannst nicht einfach als Jazzband beim Fernsehen anrufen und sagen: „Wir sind echt geil! Wollt ihr uns nicht mal auftreten lassen?“ Das klappte vor 30 Jahren vielleicht mal bei der N3 Talkshow.

Du hast in München und in Köln studiert, lebst aber nach wie vor in Hannover. Haben Dich andere Städte als Lebensmittelpunkt nie gereizt?

In Köln beispielsweise hat es mich gestört, dass man dort damals nicht viel spielen konnte. In München war das schon anders, da gab es viele Auftrittsmöglichkeiten, auch hat mir die Stadt ganz gut gefallen. In Hannover aber lebten meinen Eltern, ich hatte hier eine Freundin, hatte hier viele Kontakte. Außerdem ist Hannover nicht schlecht, was Jazz angeht. Hier gab es und gibt es relativ viele Spielmöglichkeiten und die Stadt beachtet den Jazz ja auch sehr. Jazz hat hier einfach eine große Tradition, allen voran Herbert Schmalstieg und natürlich Mike Gehrke haben da unheimlich viel geleistet und bewegt. Und heute noch ist der Jazz Club treibende Kraft für viele Spielmöglichkeiten wie beispielsweise gestern der Regionsentdeckertag. Dass dort auch Jazz zu hören ist, ist ja nicht unbedingt selbstverständlich.

Hannover muss sich nicht verstecken im Vergleich mit anderen Städten?

Überhaupt nicht! Im Gegenteil, Hannover ist in Sachen Jazz ziemlich weit vorne. Nicht nur, was Spielmöglichkeiten betrifft. Es gibt so viele gute Jazzmusiker, so viele Talente. Außenstehende sehen das aber nicht immer. Ich werde öfters von auswärtigen Bekannten gefragt: „Was machst du denn noch in Hannover? Da ist doch nichts los.“ Komischerweise schafft es die Stadt nicht, das Image einer verschlafenen Provinzstadt loszuwerden. In Hamburg beispielsweise ist zumindest in Sachen Jazz nicht mehr los als hier. In Berlin allerdings ist das ganz anders. Aber dort sind so viele gute Jazzmusiker, dass der Konkurrenzdruck immens ist. Die Leute spielen dort für so schlechte Gagen, da kannst du kaum von leben. Aber dafür passiert dort musikalisch sehr viel.

Inwiefern wird Hannover dem Ruf einer Jazzstadt wirklich noch gerecht? Es gibt zwar vergleichsweise viele Spielmöglichkeiten, wird da aber wirklich noch Jazz gespielt? Beispiel Swinging Hannover, da war mal ein reines Jazzfestival, heute treten da Gospel-Chöre, Blues-Bands u.a. auf …

Hannover tut, wie gesagt, sehr viel für den Jazz. Viele Musiker, die hier spielen, wissen das auch, kommen deswegen zum Beispiel gerne in den Jazz Club. Deswegen wird sich aber niemand in Hamburg ins Auto setzen, um zu einem Jazzkonzert nach Hannover zufahren. Und was Swinging Hannover betrifft: Mir gefällt das Programm, da ich wie gesagt nicht der klassische Jazzmusiker bin, sondern mich auch andere Bereiche interessieren. Früher hat man aber in der Tat richtige Jazzgrößen erleben können, da hat dann auch schon mal auf der JazzWoche ein Herbie Hancock gespielt. Solche Namen fehlen heute.

Was sind die Highlights Deines musikalischen Schaffens?

Meine Zeit bei Gene Cooper, keine Frage. Auch die Episode mit Lonnie Smith zählt dazu. Dann natürlich Lionel Hampton im Jazz Club, er hatte mich sogar engagiert, ist aber nichts daraus geworden, weil er krank wurde. Ganz großes Kino mein Auftritt mit Randy Crawford und Ray Charles auf der Expo 2000. Das war für mich zudem das erste Mal, dass ich vor knapp 10.000 Leuten gespielt habe. Mein erster Auftritt war das Intro von „Street Life“, das heißt, ich kam alleine auf die Bühne und musste anfangen. Da rutschte mir dann doch das Herz in die Hose – ich weiß noch sehr genau, wie unendlich lang der Weg zum Mikrofon war (lacht).

Was planst Du für die Zukunft?

Im Moment konzentriere ich mich mehr auf eigene Projekte. Und natürlich läuft Roger Cicero weiter. Im Oktober geht es wieder auf Tournee, das macht immer noch richtig Spaß. Wie sehr, kannst du daran ablesen, dass nach drei Jahren bis auf einen Musiker immer noch die gleiche Besetzung unterwegs ist. Wir verstehen uns einfach super, es hat in der Zeit keinen ernsthaften Streit gegeben. Wir sind eben keine gecastete Band, keine Telefon-Band.

Interview: Jens-Christian Schulze