Er gilt als Tausendsassa in der Jazzszene, hat bereits 50 Tonträger als Leiter oder Co-Leiter veröffentlicht und ist als Bassklarinettist nicht nur musikalisch für ein solides Fundament zuständig: Gebhard Ullmann, 1957 geboren, wurde vor kurzem als 1. Vorsitzender der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) im Amt bestätigt und sagt: „Jazz sollte in der Politik mehr gehört werden.“ Wieso, erklärte er der Journalistin Andrea Schwyzer in einem Gespräch kurz vor seinem nächsten Konzert in der Region Hannover. Am Freitag, 20. Mai war Gebhard Ullmann mit seinem Trio „BassX3“ in der unabhängigen Konzertreihe „Jazz GUT unterwegs“ in der Kirche St. Martini in Brelingen.
Gebhard Ullmann: Viele tiefe, ungehörte Klänge. Alleine die Kombination von zwei Kontrabässen und einer Bassklarinette beziehungsweise einer Bassflöte, die zudem ein Prototyp ist, klingt sehr ungewohnt. Und dann auch noch in einer Kirche… Wir spielen außerdem konzeptionelle Musik: Die ist zwar unnotiert – wir spielen also frei – soll aber klangliche, von uns festgelegte Strukturen erfüllen. Manchmal verändern sich die Klänge dabei sehr langsam. Es ist ein Spiel mit Dynamik und Zeit.
Welche Bedeutung haben unabhängige Konzertreihen wie „Jazz GUT unterwegs“ für die deutsche Jazzszene?
GU: Eine riesige Bedeutung, weil seit vielen Jahren die Spielstätten immer weniger werden. Selbstorganisierte Reihen bringen erstens Musik in die Stadt, die da sonst nicht hinkommen würde und zweitens profitieren auch Randbezirke von diesen Konzerten. Dort wäre ja sonst nichts dergleichen vorhanden.
Sind selbstorganisierte Reihen somit mutiger als der gängige Jazzclub?
GU: Der gängige Jazzclub, der jeden Abend ein Programm macht, kann manchmal nicht so mutig sein, wie eine solche Initiative, die ganz gezielt in eine bestimmte Richtung geht und auch ganz gezielt bestimmte Musik in bestimmte Spielorte bringt. Der Jazzclub muss Musikliebhaber ja immer an denselben Ort locken und dadurch in aller Regel einen Mix anbieten: Von Musik, die bereits einem breiten Publikum bekannt ist und Musik, die sich erst noch ein Publikum erspielen muss. Ich würde mir allerdings auch da wünschen, dass bei den Programmverantwortlichen ein bisschen mehr Mut vorhanden wäre, weil ich den Eindruck habe, dass die Zuhörer viel offener sind, als die Veranstalter denken.
Inwiefern haben Initiativen wie „Jazz GUT unterwegs“ aus Hannover einen Einfluss auf das Gagenniveau?
GU: Wenn sich Initiativen wirklich bemühen Subventionen und Sponsoren zu bekommen, dann ist es in der Regel so, dass eine Gage gezahlt wird, die im oder sogar über dem Bereich dessen liegt, was die Union Deutscher Jazzmusiker in ihrer Willenserklärung schreibt. In dieser Erklärung wurde vor zwei Jahren in Absprache mit den Veranstaltern festgelegt, was als angemessene, durchschnittliche Bezahlung gilt. Für Konzerte sind das 250 Euro pro Musiker, für einen Festival-Gig 500 Euro – vorausgesetzt, die Veranstalter erhalten einen bestimmten Prozentsatz an Subventionen. Diese Zahlen sind nicht verbindlich, da die UDJ ja keine Gewerkschaft ist. Gleichwohl ist endlich eine Zahl im Raum an der man sich orientieren kann. Vorher war es oft so, dass gesagt wurde „Na ja, 100 Euro reichen doch auch“. Mittlerweile haben viele Veranstalter in Deutschland diese Willenserklärung unterschrieben. Die Initiative „Jazz GUT unterwegs“ um Arne Pünter (JMI Hannover) ist übrigens vorbildlich! – Nicht nur bezüglich Gage, aber eben auch da.
Aus Ihrer Sicht ist jede Art von Kultur politisch – und Jazz sei im Besonderen politische Musik, da er sich historisch etwa mit der Rassentrennung auseinandersetzte. Bedeutet das auch, dass Jazz im Besonderen in der Politik mehr gehört werden sollte?
GU: Ja – und zwar insofern, als dass Jazzmusik etwas mit Bewusstsein zu tun hat, mit Persönlichkeitsentwicklung und darüber mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Es ist die Musik, deren wesentliches Element die Improvisation ist. Die Eigenschaften von Jazz sind also wichtige Bausteine für musikalische und kulturelle Entwicklungen und das ist in der Politik womöglich nicht so klar. Oder anders: Jazz ist ein Versuchslabor für musikalische Entwicklungen, von denen viele in fünf bis 15 Jahren auch im Mainstream ankommen werden. Wenn dieses Versuchslabor nicht unterstützt wird, dann ist das in etwa so, wie wenn man die Entwicklungsabteilung von VW zumachen würde – mit der Folge, dass wir in naher Zukunft keine neuen Entwicklungen mehr haben werden.
Wie kann dieses „Versuchslabor Jazz“ unterstützt werden?
GU: Viele Förderungen, die es zweifelsohne gibt, gehen zum Teil am Jazz vorbei. In der UDJ engagieren wir uns dafür, dass auch der Jazz zukünftig von solchen Förderungen profitiert. Eine Möglichkeit wäre, außerhalb vom konzertierenden Musizieren Arbeitsfelder für Musiker zu schaffen, damit deren Einkommen auch aus diesen Bereichen gespeist werden kann. Konkret: Mehr soziale Bildungsaufgaben für Jazzmusiker. Lasst uns einmal darüber diskutieren, wieso etwa in Schulen, sozialen Einrichtungen oder in Kinderläden, auf die Expertise von Jazzmusikern verzichtet wird. Denn diese Musiker sind die Experten für Improvisation und bei Improvisation geht es immer auch um Selbsterfahrung. Programme, Workshops und Initiativen in diesem Bereich fände ich gesellschaftlich relevant und sinnvoll.
Und dann dürfen aus meiner Sicht die zunehmend prekären Anstellungen im Bildungsbereich, an Musikschulen und Hochschulen, nicht einfach so hingenommen werden. Denn Geld, das hier eingespart wird, muss an anderer Stelle nachher oft vielfach wieder eingespeist werden. Wie so oft in unserer heutigen Gesellschaft ist diese Entwicklung nicht zu Ende gedacht.